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Storytelling im Online-Marketing-Umfeld

Jan Gutkuhn
Jan Gutkuhn
Director Web3 & Partner
Länge
6 Min. Lesezeit
Datum
17 April 2014

Vor etwas mehr als zwei Jahren gestaltete ich einen Vortrag über Storytelling und SEO, genauer formuliert ging es darum, wie man Geschichten und die Technik des Geschichten-Erzählens nutzen kann, um individuelle und außergewöhnliche Linkkooperationen zu realisieren. Ich erinnere mich, wie ich daran feilte, den gelungenen Bezug aus dem Werbebereich zum technisch-performanceorientieren Arbeitsbereich der Suchmaschinenoptimierung herzustellen um die Teilnehmenden des Workshops zu überzeugen. Mittlerweile fühlt sich der Begriff deutlich weniger erklärungsbedürftig an.

Storytelling ist zum „Buzzword“ geworden – auch in der OM-Branche – und bringt aus über einem halben Jahrhundert Werbeerfahrung die Botschaft mit: Dinge brauchen eine Geschichte um zum Leben erweckt zu werden, einer breiten Zuhörerschaft an Rezipienten zu gefallen und mit einem Gefallen-äußernden Like, Share oder Kommentar belohnt zu werden. (An dieser Stelle freut sich der Online Marketer.)

Wichtigste Zutat: Emotionalität. Dazu kommen Identifikationsgabe, der Charakter des (scheinbar) Neuen und Originalen oder der kurze Weg des Humors. „Klick machen“ wird es nur dann, wenn der Rezipient bereit ist, dem/der Gesehenen oder Gehörten in der Fülle der täglichen Informationsflut eine gesteigerte Aufmerksamkeit entgegenzubringen – beispielsweise dadurch, dass er sich emotional mit den ihm dargebotenen Inhalten auseinandersetzt. Unverzichtbar für eine gelungene Geschichte sind außerdem Relevanz und dramaturgisches Können. Fehlt der gelungene Plot, ist jede noch so aufwendig gestaltete Geschichte langfristig wertlos.

Geschichten in der Werbung der 50er Jahre

Ich springe in der Zeit etwas zurück: In die Zeit, als Werber:innen der frühen Generation sich überlegten, wie man Menschen – damals vorrangig Männer – das Rauchen schmackhaft machen könnte: Ein Pferd, ein Mann, mit oder ohne Kameraden, eine weite Wüstenlandschaft, ein Auftrag, der da lautete: Sei kraftvoll, sei frei, sei männlich. „Malboro Country“ ward erschaffen und ist heute, zwar vom TV ins Kino verbannt, doch immer noch in vielen Köpfen präsent. „Come to where the flavor is“ schließt den/der Rezipienten aktiv ein, in die Gruppe der starken Kamerad:innen, die ein klares Ziel vor Augen haben. Und obwohl man dieses nicht kennt, wirkt die Geschichte, indem sie einen Look transportiert, den die Männer bereits kennen: Aus ihren Karl May-Geschichten oder den frühen US-Western, in denen die Guten immer gewinnen, die Freundschaft aber, über allem steht.

Was als absatzfördernde Werbekampagne konzipiert wurde, ist Image, Geschichte, vielfach reproduziertes Bild. Und genau dadurch, nämlich die Reproduktion von Inhalten, entstehen sie erst, die Geschichten, die bleiben, begeistern und motivieren. Denn das ist der Ursprung des Storytellings und somit ein weiterer Sprung zurück in der Zeitleiste: Zurück an das Lagerfeuer, als der Stammesälteste Moralvorstellungen und Verhaltensregeln an eine Gruppe von Zuhörern weitergab. Aus psychologischer Sicht ist diese Art der Informationsvermittlung eine sehr gelungene, denn:

Die Psychologie der Informationsaufnahme durch Geschichten

Geschichten sind unsere natürliche Sprache. Sie helfen uns auf natürlichem Wege mit Komplexität umzugehen und Botschaften strukturiert zu vermitteln.

Geschichten sind einfach zu verstehen. Dabei gilt die Faustregel: Je einfacher ein Sachverhalt zu verstehen ist, desto glaubwürdiger scheint er.

Geschichten sind emotional aufgeladen. Eine emotionale Komponente, die die Lebensvorstellungen des Rezipienten trifft, kann eine sehr starke Identifikation mit den Inhalten bewirken. Findet diese statt, ist der Rezipient vielmehr geneigt, eine langfristige Bindung mit den Inhalten der Geschichte oder gegebenenfalls mit ihrem Absender einzugehen.

Geschichten unterhalten. Dies ist mit einer der wichtigsten Punkte in der heutigen Informationsflut auf allen Kanälen und in allen Medien und ist Grundvoraussetzung für eine breite Zielgruppe, die weniger der Moral geneigt ist, als dem Unterhaltungsfaktor und dem Spaß.

Geschichten sind Problemlöser. Zu Beginn einer guten Geschichte steht meistens ein problematischer Sachverhalt, der im Spannungsverlauf der Handlung mithilfe des Protagonisten gelöst werden kann und so zum „Happy End“ führt. Kann sich der Reziepient mit dem Protagonisten indentifizieren (beispielsweise weil dieser ihm besonders sympathisch erscheint oder dem Rezipienten in den Lebensumständen sehr ähnlich ist), steigt die Wahrscheinlichkeit der Nachahmung.

Geschichten sind reich an starken Bildern. Menschen mögen Bilder! Bilder lassen sich vom Gehirn schnell und leicht verarbeiten und sind vor allem nachhaltiger wirksam als reine Textinformationen. Geschichten sind Worte, die im Gehirn zu Bildern zusammengesetzt werden oder audiovisuell aufbereitet werden.

Kurzum, Geschichten sind nicht nur leicht und nachhaltig verständlich, sondern dadurch vor allem auch gut geeignet, weitererzählt und mit anderen geteilt zu werden. Das Storytelling als Technik der Informationsvermittlung wird daher seit jeher eingesetzt, um Botschaften im kollektiven Gedächtnis zu verankern. Wenn man es so will, ist die Bibel (genau wie der Koran oder die Tora und weitere religiöse Schriftstücke) Storytelling. (Anmerkung: In diesem Vergleich, den ich damals im Workshop zog, fühlte ich mich zuletzt von Andreas Siefke auf der diesjährigen Content Marketing Conference bestätigt.) Mythologien, Sagen, Märchen und historische Geschichten – wo immer Menschen leben, lernen und interagieren, entstehen – und bleiben – Geschichten.

Storytelling als Marketinginstrument

Kein Wunder also, dass das Instrument – effektiv wie es ist – im Marketing mit großer Beliebtheit eingesetzt wird. Viele Unternehmen setzen verstärkt auf die „Magie“ der emotionalen Bilder und bieten dem Rezipient:innen fröhliche, lustige, ästhetische oder teilweise auch schockierende oder unsinnige Geschichten mit hohem Aufmerksamkeits- und Unterhaltungspotenzial. Als Vorreiter für den Einsatz von Storytelling in der umfassenden Marketingkommunikation lässt sich beispielsweise Coca-Cola nennen. Die Werbestrategie, die mit dem Coca-Cola Truck und dem Weihnachtsmann begann, wird bis zum heutigen Tag konsistent verfolgt. Es werden „Happiness Factories“ geschaffen und Geschichten mit Kindchenschema-erfüllenden Polarbären erzählt.

Dass Marketing für die Beteiligten nicht mehr nur TV, nur Corporate Publishing, nur Online-Advertising oder nur Search bedeutet, setzt das Storytelling heutzutage voraus: Die Kanäle arbeiten im Idealfall an gemeinsamen Geschichten, die klare Botschaften vermitteln. Denn wer zu viele Geschichten in unterschiedlichen Tonalitäten oder Bildwelten erzählt, gerät in Gefahr, als nicht glaubwürdig wahrgenommen zu werden und somit nicht in die emotionale Welt des Rezipienten aufgenommen zu werden.

Mit dem Trendthema Content Marketing wurde das Kreieren von Inhalten nicht neu erschaffen. Tatsächlich werden aber Etats von Offline zu Online umgeschichtet und eine saubere Performancemessung wird zur Grundvoraussetzung für Wirtschaftlichkeit. Das Bewusstsein für die Wichtigkeit der Search-Kanäle steigt in den oberen Etagen, und viele SEOs werden sich – den Kinderschuhen des vergleichsweise jungen Kanals entwachsen – zunehmend der Nachhaltigkeit in ihrem Geschäftsbereich bewusst – ein Bereich, der genauso sensibel mit Kund:innenwünschen und Bedürfnissen umgehen muss wie jeder des klassischen Marketings.

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